noch Markttag, der 22. Nachgeheim
„Was ist denn jetzt mit Magnus?“, erkundige ich mich voller Sorge. „Zu Staub zerfallen“, entgegnet Günther, der Koch. Ich zucke zusammen. Wie war das möglich?! - Ja, eine gute Frage: Wie konnte mein Gefährte tagelang (wochenlang?) die Kuppel aufrecht erhalten ohne Schlaf, ohne Nahrung, ohne auch nur einen einzigen Schluck Wasser? Und wie konnte er dann selbst ein Raub der Flammen werden? Welche unbändige Kraft hat diese Flammenkuppel gespeist, die im Augenblick von Magnus' Tod schlagartig verschwand?
Trauer hüllt mich ein. In den letzten Wochen war Magnus, einst nur mein Bewacher mit dem Auftrag, mich armen Verbannten aus dem Reich nach Tiléa zu führen, zu einem teuren Kampfgefährten geworden ... nein: zu einem teuren Freund.
Welch schwacher Trost, dass er heldenhaft sein Leben dafür geopfert hat, das Kloster zu retten. Ich weiß es natürlich nicht, aber ich könnte mir denken, Sigmar wird stolz auf diesen Recken sein, der stets in Seinem Namen focht.
Und zugleich lässt mich nicht los, was Günther über Magnus' Ende berichtet: Seine letzten Worte waren: „Tzeench! ... Danke!“ Was hat das zu bedeuten? Aber darüber kann ich mir ja später noch Gedanken machen.
Auch wenn Monalon gewiss nicht zu unrecht anmerkt, dass von Magnus nicht mehr viel übrig sein dürfte, dränge ich auf eine angemessene Bestattungszeremonie. Das sind wir dem guten Gefährten einfach schuldig.
Dieter betritt den Raum und blickt mich aus großen Augen an, als ich ihn begrüße. „Der Finger des Schicksals ist wieder erwacht! Das muss ich sofort Bruder Norbert melden!“. „Bei der Gelegenheit könntest Du auch gleich Marna herbeiholen“ entgegnet Wolfgang. Nach kurzem Zögern ist der junge Diener auch schon wieder durch die Tür.
Bruder Norbert ist der Flaggenmeister und zugleich der stellvertretenden Abt des Klosters Eyrie und damit, so erklärt mir Monalon, der designierte Nachfolger Gregors. Er ist ein stämmiger Bursche mit rundem Gesicht und kurz geschorenen Haaren aber diese Beschreibung trifft eigentlich auf einen Großteil der hiesigen Mönche zu. Wie dem auch sei: Als Norbert an mein 'Krankenlager' tritt, sieht er mich ebenfalls voller Erstaunen an. Ich muss in den letzten Wochen ja wirklich einen sonderbaren Anblick geboten haben! Aber viel interessanter finde ich, dass zusammen mit Bruder Norbert eine junge Frau das Zimmer betreten hat drahtig, beinahe knabenhaft, und zweifellos mit Abstand beste Anblick der letzten Zeit.
Flaggenmeister Norbert schickt Günther fort: „Ist es nicht Zeit für dich, sich ums Essen zu kümmern?“ Dann richtet er das Wort an uns alle: „Jetzt, wo ich Euch alle zusammen habe…“. Und so beginnt die offizielle Ansprache: Erst ein kurzer Willkommensgruß, dann ein ausführlicher Überblick über die Verhaltensregeln in „unserem Falkenhorst“. Er lässt uns wissen, Glücksspiel sei strengstens verboten und wirft ausgerechnet mir einen merkwürdigen Blick zu. Wie sollte ich mit dieser Hand denn gut würfeln können, bitteschön? Außerdem sei allen Nicht-Angehörigen des Klosters das Betreten der Bibliothek untersagt, und Verena werde niemals dulden, dass Besucher oder Bewohner des Klosters die Hand im Zorn gegeneinander erheben. Mehr kann ich mir nicht merken ... und es interessiert mich auch nicht sonderlich: Meine Gedanken kreisen unablässig um Magnus.
Schließlich weist Norbert den jungen Dieter an, sich um alles weitere wie Unterkunft für uns zu kümmern und verlässt darauf hin die Krankenstube.
Wer kümmert sich jetzt eigentlich um meine immer noch fürchterlich schmerzende Hand? Man kann über Wolfgang sagen was man will: Er ist nun einmal Arzt, und so begutachtet er meine Verletzung. Dann sieht er sich im Krankenzimmer um und sammelt die verschiedensten Kräuter und Tinkturen zusammen, die in diversen Regalen und Schubladen aufbewahrt werden. „Gibt es hier denn nirgendwo einen Feuerstein?“, grollt er, und Dieter zieht sofort los, Wolfgangs Wunsch zu erfüllen.
Wolfgang sucht verschiedene Zutaten zusammen und zerkleinert sie in einem Mörser; dank einer einfachen, aber funktionsfähigen Waage braucht er das richtige Mischungsverhältnis nicht nur abzuschätzen (währenddessen brummelt er unaufhörlich etwas davon, er hätte doch seine Reisewaage mitnehmen sollen, aber besser als nichts ...), und dann erhitzt er das Gemisch (in das er, wenn ich mich nicht täusche, auch einen ordentlichen Schluck Bier getan hat, aber vielleicht ist das Wunschdenken) über einer kleinen Flamme und wartet, bis das Elixier genug eingedampft ist so zumindest erklärt er. Während Wolfgang konzentriert arbeitet, berichtet Monalon, was ihnen in den zurückliegenden Wochen widerfahren ist:
Wolfgang und sie waren im Osten des Reiches mit Hilfe einer Einheit Soldaten in eine Schlacht mit Truppen des Chaos geraten, die sie nur mit Müh und Not überstanden hatten: mit viel Glück und wohl nur dank der Hilfe einer äußerst zwielichtigen Gestalt so wie ich es verstehe, muss das eine Art Vampir gewesen sein. Es sieht den beiden gar nicht ähnlich, sich auf derlei Bündnisse einzulassen. Eigentlich möchte ich nachfragen, aber gleichzeitig kann ich mich nicht so recht auf den Bericht konzentrieren. Es wird auch nicht besser, als unvermittelt Wolfgang meine Hand packt und mir in seiner unnachahmlich mitfühlenden Art mitteilt, das werde jetzt sehr weh tun. Dank Monalon bekomme ich wenigstens ein Beißholz und und erwarte das Schlimmste. Als Wolfgang die Tinktur mit einer Art Spachtel auf meine Handinnenfläche aufträgt, wird diese mit einem Schlag eiskalt! Ich bin überrascht, hatte ich doch eher mit dem Gegenteil gerechnet. Aber wieder einmal spüre ich, dass Kälte genauso brennen kann wie Hitze ... trotzdem hatte ich viel Schlimmeres erwartet (Verrät mir das etwas darüber, wie zimperlich Wolfgang ist? Wenn meine Gedanken nicht immer noch um Magnus kreisen würden, müsste sich so ein Wissen doch nutzen lassen!). Langsam verfliegt die Eiseskälte aus meiner Hand ... die trotzdem völlig taub ist. Gut, die Schmerzen sind weg, aber bewegen kann ich die Finger immer noch nicht. Gerade, als ich Wolfgang darauf aufmerksam machen will, dass sich meine Lage nur unwesentlich gebessert hat, kehrt das Leben in meine Fingerspitzen zurück ... zusammen mit den Schmerzen. Aber sie sind dankenswerterweise nur noch ein schwacher Abglanz dessen, was mich in den letzten Wochen fast die ganze Zeit über davon abgehalten hat, Trost ins Morrs Armen zu finden. Wie gesagt: Man kann über Wolfgang sagen, was man will, aber sein Handwerk versteht er.
Die Hand wird verbunden, und Wolfgang fragt Dieter nach einem Handschuh, der die Wunde zusätzlich schützen soll. Dieter führt uns daraufhin über den Innenhof, an der Zwergen-Statue vorbei (an der sich Dieter tief verbeugt) und betritt eine kleine Schneiderwerkstatt. Dort begrüßt uns Siggi der Schneider äußerst liebenswürdig. Auf unsere Bitte hin unterbricht er sogar seine aktuelle Arbeit und fertigt mir aus einem dicken Stofflappen einen ziemlich genau passenden Handschuh an. Sehr geschickt, der Mann!
„Nun wird es aber Zeit, Euch Eure Zelle zu zeigen, gleich ist auch schon Mittagszeit…“, mahnt Dieter zur Eile. Beim Wort 'Zelle' zucke ich unwillkürlich zusammen und wähne mich weniger Gast denn Gefangener, aber Monalon erklärt mir, dass Mönche ihre Stuben aus mir gänzlich unerfindlichen Gründen 'Zelle' nennen. Ich habe ja Respekt vor Leuten, die ihr Leben ganz den Göttern widmen, aber müssen die immer gleich so sehr ihre Leidensbereitschaft zur Schau stellen? Also, für mich wäre das nichts. Und dass Monalon dabei klingt, als rede sie mit einem begriffsstutzigen Kind, steigert meine Begeisterung auch nicht gerade. Der Mönchs-Zögling führt uns wieder über den Hof, verbeugt sich dabei erneut vor der Zwergen-Statue, und geleitet uns in eine recht große Stube an der Südostecke des Klosterkomplexes: Vier Betten, zwei Schreibpulte und ein leerer Schrank bieten Platz zum Schlafen und Studieren; die beiden Fenster des Raumes gestatten einen beinahe schon atemberaubenden Ausblick auf die Bergwelt. „Ihr werdet Euch hier sicher wohlfühlen“, hebt Dieter erneut an. „Gleich gibt es dann auch etwas zu essen, und später solltet ihr unbedingt das Ale von Braumeister Dalbert probieren…“. Dieser Bursche redet wirklich unentwegt, dabei kreisen meine Gedanken gerade um völlig andere Dinge. Doch dann wird Dieter vom lautstarken Klingeln kleiner Glöckchen unterbrochen anscheinend werden so die Mönche und auch die Gäste in den Speisesaal zusammengerufen.
Erst jetzt fällt mir auf wie prachtvoll der Saal ist. Kunstvolle Fresken schmücken die Wände, unterbrochen von mächtigen Säulen, vor denen sich wiederum Statuen erheben, die allem Anschein nach die Gerechtigkeit und die Lehre Verenas symbolisieren. Monalon zumindest blickt sich um, als wolle sie eine wissenschaftliche Arbeit über diesen Raum verfassen (das sähe ihr ähnlich!).
Obwohl uns Dieter zur Eile mahnt (warum sind die hier oben alle so hektisch? Wird nicht in so manchem Lied das beschauliche Leben der Gottgefälligen besungen?), sind wir die letzten, die den Saal betreten. Am Kopfende steht Kapitän Schwerner und hält bereits eine flammende Rede, die er immer wieder durch wilde Gesten seines linken Armes begleitet was hin und wieder mehr als skurril wirkt, schließlich fehlt dem alten Kämpfer die zugehörige Hand; stattdessen bildet eine lange, prügelartige Prothese aus Holz die Verlängerung seines Unterarmes. Zu Schwerners Rechten sitzt Flaggenmeister Norbert und nickt bei jedem Satz des Kapitäns zustimmend mit dem Kopf. Schwerner beschwört die Mönche, sich bitte endlich zusammenzureißen, denn die schützende Flammenwand vor der Klosterbrücke sei nun verschwunden. Also gelte es jetzt mehr denn je, sich zu rüsten und regelmäßig Wehrübungen abzuhalten. Die Feinde könnten jederzeit zurückkehren. Es sei an der Zeit, das Kloster wehrhaft und mit dem Schlendrian der letzten Jahre Schluss zu machen, denn schlimme Zeiten seien angebrochen. Ohne die Finger des Schicksals wäre das Kloster erst kürzlich mit Sicherheit überrannt worden und es könne nicht angehen, sich stets nur auf andere zu verlassen. Schließlich lehre Verena ja ... Es ist bemerkenswert, wie lange (und wie laut) Schwerner sprechen kann, ohne zwischendurch Luft zu holen.
Das ganze wirkt ein wenig wie eine Mischung aus Weckruf und Strafpredigt. Aber gewiss hat der Mann Recht: Magnus wird das Kloster gewiss kein zweites Mal retten. Ich selbst bin im Moment mehr oder minder außer Gefecht gesetzt, denn in einer echten Schlacht würde auch meine Beidhändigkeit kaum ausgleichen, dass meine rechte Hand im Augenblick kaum nutzbarer ist als Schwermers Linke. Immerhin haben wir jetzt Monalon mit ihren Feuerbällen hier und Wolfgang mit seiner unnachahmlichen Art, seine Mitmenschen anzuspornen.
Dann wird endlich das Essen aufgefahren: gebratenes Geflügel. Auf meine Frage hin erklärt mir Dieter, es handle sich um Jakjak, einen krähenartigen Gebirgsvogel. Dazu wird eine Mehlspeise gereicht. Schmeckt das wirklich so gut oder liegt es daran, dass ich so lange Zeit nicht mehr bewusst etwas Vernünftiges zu mir genommen habe?
Nachdem abgedeckt wurde, erscheint Bruder Stefan vorne am Pult. Schlagartig scheint mir ein Hauch von Angst durch den Saal zu streifen. Stefan sieht es wohl als seine Lebensaufgabe an, seine Ordensbrüder mit der Sprache der Elfen vertraut zu machen. Allerdings erinnert mich das, was ich hier sehe, weniger an den Versuch, andere etwas zu lehren, als vielmehr eine Lektion darin, wie man seinen Mitmenschen ihre allgemeine und insbesondere fachliche Unzulänglichkeit vor Augen führen kann. Zeit für uns zu gehen und Bruder Georg die Aufwartung zu machen.
Dieter führt uns über den Hof (die Verbeugung vor der Statue nicht vergessend) und die bekannte Treppe zum Abt des Klosters. Georg begrüßt uns freundlich und merkt an, wie es ihn freuen würde, dass es mir wieder besser gehe. Wir befragen ihn erneut über die Prophezeiung, aber weitere Hinweise können wir ihm nicht entlocken.
So begeben wir uns wieder in den Hof, wo Dieter erstmal wieder seine bekannte Verbeugung vor der Statue vollführt. „Die Statue. Das muss doch der erste Schlüssel sein.“ stelle ich fest. „Wir haben es hier doch offenbar mit einer Art Schnitzeljagd zu tun, an dessen Ende der Kristall der Luft zu finden sein könnte“. Wolfgang sieht mich erstaunt an, worauf ich ihm von den diversen Botschaften der Zwerge erzähle, die wir auf unserer Reise zusammengetragen haben und die darauf hindeuten, der Zwerg Yazeran könne der Besitzer dieses Steines gewesen sein.
Noch einmal lasse ich mir die Zeilen der Prophezeiung durch den Kopf gehen ... und schließlich habe ich tatsächlich eine Art Eingebung: „Das Senkblei muss eine Bedeutung haben! Lasst uns an der Stelle suchen, wohin der Schatten des Senkbleis weist. Genauer gesagt: dort, wo der Schatten des Senkbleis genau zur Mittagsstunde hinfiel, als Monalon, Magnus und ich hier vor einem Monat eintrafen.“
Im Moment weist der Schatten des Senkbleis auf die gemauerte Wand des großen Saales links neben der Tür und endet etwa drei Fuß über dem Boden. Jetzt gilt es hier die nötige Anpassung vorzunehmen. „Hmmm“, Monalon und Wolfgang überlegen laut: „Etwas höher, da die Sonne eine Stunde nach Mittag tiefer steht, etwas nach links, da ein Monat vergangen ist.“
Dass die Beiden allem Anschein nach komplizierte Rechnungen vornehmen, dauert mir einfach zu lange. Ich ziehe einen meiner Dolche und suche mir einen Stein in der Wand aus, der eine halbe Hand breit über und eine Hand links vom jetzigen Schatten-Ende liegt. Als ich den Dolch ansetze, um die Fugen um den Stein herum zu bearbeiten, bemerke ich, dass er völlig locker sitzt. Wie eine Schublade lässt er sich herausziehen!
Mit meiner unverletzten Hand lange ich in den Hohlraum und fördere ein kleines festes sechseckiges Pergament zu Tage, ganz ähnlich dem kleinen Pergament, dass wir von Bruder Georg erhalten hatten. Das ist der nächste Hinweis! Auf dem Pergament ist ein Amboss abgebildet, über dem 7 Schwerter schweben. An den 6 Kanten wird erneut ein Spruch aus 6 Wörtern gebildet: „Suche - die - Quelle - finde - den - Grund.“ - „Wo ist Eure Schmiede?“, frage ich Dieter.
Die Schmiede des Klosters liegt unmittelbar gegenüber des großen Saales; der Eingang, zu dem Dieter uns führt, befindet sich links um die Ecke. Bruder Klaus, ein hochgewachsener und mit erheblicher Leibesfülle ausgestatteter narbengesichtiger Kerl begrüßt uns freundlich.
Neben den üblichen Gerätschaften einer Schmiede Amboss, Feuerstelle, Blasebalg und mancherlei Handwerkzeuge fallen unter den an der Wand aufgehängten Schwertern zwei besonders große, gekreuzte Exemplare mit kunstvoll gewellten Klingen besonders ins Auge. Sonderlich sinnvoll erscheint mir das zwar nicht, aber es sieht unbestreitbar beeindruckend aus. Auf meine Frage hin, ob er diese prächtigen Stücke selbst gefertigt hätte, entgegnet Klaus: „Nein, soweit reicht meine Kunst leider nicht. Das sind zwei Duellschwerter aus Tiléa, die mir ein Pilger vor Jahren zum Geschenk gemacht hat."
Wir erzählen dem Schmied von unserer Suche nach Hinweisen, und als wir ihm das kleine sechseckige Pergament zeigen, das uns zu ihm und seiner Schmiede geführt hat, läuft sein Gesicht ein wenig rot an. „Oh. Noch so ein Bierdeckel. Ja so einen habe ich auch, allerdings nur eine Hälfte davon. Die andere Hälfte habe ich meinem Bruder Siggi gegeben. Ihr könnt ihn haben, aber bitte erzählt dem Abt nicht, dass wir den Bierdeckel zerteilt haben. Das ist mir jetzt aber peinlich, hätte nie gedacht, das da mal jemand kommt und danach fragt.“. Klaus wühlt in einem kleinen Schränkchen und holt den halben „Bierdeckel“ hervor. Schon jetzt erkennt man, das darauf ein Brunnen abgebildet ist und um das Bild herum zieht sich wieder ein Sinnspruch ... der aber natürlich nicht vollständig ist. Wir beschließen, zunächst erneut Siggi den Schneider aufzusuchen.
Klaus beendet noch eben die Arbeit an einem neuen Schwert und führt uns zu Siggis Kammer, in der uns auf einmal ein riesenhafter Köter entgegenspringt und lautstark anschlägt. „Sitz!“, ruft Klaus nur. Die Bestie gehorcht aus dem Sprung heraus; ab sofort lässt sich auch nur noch ein leises Winseln vernehmen.
Siggi kramt dann auch die zweite Hälfte des „Bierdeckels“ hervor (was immer diese sonderbaren Pergament-Sechsecke in Wahrheit sein mögen!). Zusammengesetzt ist jetzt tatsächlich ein Ziehbrunnen darauf zu erkennen. Aus zwei in der Luft schwebenden Kelchen strömt jeweils eine Flüssigkeit in den Brunnen, darüber ist eine „II“ abgebildet. Der aus sechs Worten zusammengesetzte Spruch lautet: „Der - Letzte - ist - nicht - der - Geringste“.
Obwohl wir weder aus der Abbildung noch aus dem Spruch schau werden, erscheint es uns sinnvoll, sich den Klosterbrunnen in der Eingangshalle anzuschauen, den wir ja schon kennen. Laut Dieter ist dies nämlich der einzige Brunnen des Klosters, ansonsten gäbe es nur noch einige kleine Zisternen.
Rätselnd stehen wir eine Weile vor dem Brunnen. Ich schlage vor, einfach mal zwei Becher mit Wasser hineinzuschütten, wie auf der Abbildung zu sehen. Zwar weiß ich wirklich nicht, wie uns das helfen soll, aber der Versuch wird nicht schaden und wenn es hier vielleicht um irgendeine Form von Magie geht, ist das nun wahrlich nicht mein Territorium. Monalon? Wolfgang? Marna? Aber abgesehen davon, dass sie meine Idee mit den Kelchen für Unfug halten, fällt ihnen auch nichts besseres ein.
Dieter holt aus der Küche zwei mit Trinkwasser gefüllte Kelche, die Wolfgang und ich in den Brunnen entleeren. Es dauert eine Ewigkeit, bis man das Platschen hört. Der Brunnen muss mehrere Hundert Schritt tief sein! Aber wie sollte es auch anders gehen? Das Kloster steht schließlich auf diesem hohen, massiven Fels.
Viel schlauer sind wir jetzt allerdings wirklich nicht. So beschließt Wolfgang, einmal ein paar Meter in den Brunnen hinabzusteigen. Mit meiner Hand falle ich für derlei Wagnisse ja derzeit aus. Also seilen wir den Doktor an und lassen ihn dann, mit Dieters, Monalons und Marnas Hilfe (ich kann dabei natürlich nur eine Hand erübrigen), behutsam hinab.
„Die Wand ist bemerkenswert glatt - ohne Zweifel zwergische Baukunst“, hallt Wolfgangs Stimme aus etwa fünf Schritt Tiefe nach oben. „Oh…hier ist eine Art Nische. Wartet - nicht weiter ablassen!" Dann: Stille.
Schließlich fällt der Satz, auf den wir kaum zu hoffen gewagt hatten: "Wieder ein Pergament! Das muss der nächste Hinweis sein!“. Wir ziehen Wolfgang wieder hinauf, sein Kopf ragt schon über den Brunnenrand, mit der rechten Hand streckt er uns ein weiteres Pergament-Sechseck entgegen ... da läuten die Klosterglocken unvermittelt Sturm.
Fortsetzung folgt!
„Was ist denn jetzt mit Magnus?“, erkundige ich mich voller Sorge. „Zu Staub zerfallen“, entgegnet Günther, der Koch. Ich zucke zusammen. Wie war das möglich?! - Ja, eine gute Frage: Wie konnte mein Gefährte tagelang (wochenlang?) die Kuppel aufrecht erhalten ohne Schlaf, ohne Nahrung, ohne auch nur einen einzigen Schluck Wasser? Und wie konnte er dann selbst ein Raub der Flammen werden? Welche unbändige Kraft hat diese Flammenkuppel gespeist, die im Augenblick von Magnus' Tod schlagartig verschwand?
Trauer hüllt mich ein. In den letzten Wochen war Magnus, einst nur mein Bewacher mit dem Auftrag, mich armen Verbannten aus dem Reich nach Tiléa zu führen, zu einem teuren Kampfgefährten geworden ... nein: zu einem teuren Freund.
Welch schwacher Trost, dass er heldenhaft sein Leben dafür geopfert hat, das Kloster zu retten. Ich weiß es natürlich nicht, aber ich könnte mir denken, Sigmar wird stolz auf diesen Recken sein, der stets in Seinem Namen focht.
Und zugleich lässt mich nicht los, was Günther über Magnus' Ende berichtet: Seine letzten Worte waren: „Tzeench! ... Danke!“ Was hat das zu bedeuten? Aber darüber kann ich mir ja später noch Gedanken machen.
Auch wenn Monalon gewiss nicht zu unrecht anmerkt, dass von Magnus nicht mehr viel übrig sein dürfte, dränge ich auf eine angemessene Bestattungszeremonie. Das sind wir dem guten Gefährten einfach schuldig.
Dieter betritt den Raum und blickt mich aus großen Augen an, als ich ihn begrüße. „Der Finger des Schicksals ist wieder erwacht! Das muss ich sofort Bruder Norbert melden!“. „Bei der Gelegenheit könntest Du auch gleich Marna herbeiholen“ entgegnet Wolfgang. Nach kurzem Zögern ist der junge Diener auch schon wieder durch die Tür.
Bruder Norbert ist der Flaggenmeister und zugleich der stellvertretenden Abt des Klosters Eyrie und damit, so erklärt mir Monalon, der designierte Nachfolger Gregors. Er ist ein stämmiger Bursche mit rundem Gesicht und kurz geschorenen Haaren aber diese Beschreibung trifft eigentlich auf einen Großteil der hiesigen Mönche zu. Wie dem auch sei: Als Norbert an mein 'Krankenlager' tritt, sieht er mich ebenfalls voller Erstaunen an. Ich muss in den letzten Wochen ja wirklich einen sonderbaren Anblick geboten haben! Aber viel interessanter finde ich, dass zusammen mit Bruder Norbert eine junge Frau das Zimmer betreten hat drahtig, beinahe knabenhaft, und zweifellos mit Abstand beste Anblick der letzten Zeit.
Flaggenmeister Norbert schickt Günther fort: „Ist es nicht Zeit für dich, sich ums Essen zu kümmern?“ Dann richtet er das Wort an uns alle: „Jetzt, wo ich Euch alle zusammen habe…“. Und so beginnt die offizielle Ansprache: Erst ein kurzer Willkommensgruß, dann ein ausführlicher Überblick über die Verhaltensregeln in „unserem Falkenhorst“. Er lässt uns wissen, Glücksspiel sei strengstens verboten und wirft ausgerechnet mir einen merkwürdigen Blick zu. Wie sollte ich mit dieser Hand denn gut würfeln können, bitteschön? Außerdem sei allen Nicht-Angehörigen des Klosters das Betreten der Bibliothek untersagt, und Verena werde niemals dulden, dass Besucher oder Bewohner des Klosters die Hand im Zorn gegeneinander erheben. Mehr kann ich mir nicht merken ... und es interessiert mich auch nicht sonderlich: Meine Gedanken kreisen unablässig um Magnus.
Schließlich weist Norbert den jungen Dieter an, sich um alles weitere wie Unterkunft für uns zu kümmern und verlässt darauf hin die Krankenstube.
Wer kümmert sich jetzt eigentlich um meine immer noch fürchterlich schmerzende Hand? Man kann über Wolfgang sagen was man will: Er ist nun einmal Arzt, und so begutachtet er meine Verletzung. Dann sieht er sich im Krankenzimmer um und sammelt die verschiedensten Kräuter und Tinkturen zusammen, die in diversen Regalen und Schubladen aufbewahrt werden. „Gibt es hier denn nirgendwo einen Feuerstein?“, grollt er, und Dieter zieht sofort los, Wolfgangs Wunsch zu erfüllen.
Wolfgang sucht verschiedene Zutaten zusammen und zerkleinert sie in einem Mörser; dank einer einfachen, aber funktionsfähigen Waage braucht er das richtige Mischungsverhältnis nicht nur abzuschätzen (währenddessen brummelt er unaufhörlich etwas davon, er hätte doch seine Reisewaage mitnehmen sollen, aber besser als nichts ...), und dann erhitzt er das Gemisch (in das er, wenn ich mich nicht täusche, auch einen ordentlichen Schluck Bier getan hat, aber vielleicht ist das Wunschdenken) über einer kleinen Flamme und wartet, bis das Elixier genug eingedampft ist so zumindest erklärt er. Während Wolfgang konzentriert arbeitet, berichtet Monalon, was ihnen in den zurückliegenden Wochen widerfahren ist:
Wolfgang und sie waren im Osten des Reiches mit Hilfe einer Einheit Soldaten in eine Schlacht mit Truppen des Chaos geraten, die sie nur mit Müh und Not überstanden hatten: mit viel Glück und wohl nur dank der Hilfe einer äußerst zwielichtigen Gestalt so wie ich es verstehe, muss das eine Art Vampir gewesen sein. Es sieht den beiden gar nicht ähnlich, sich auf derlei Bündnisse einzulassen. Eigentlich möchte ich nachfragen, aber gleichzeitig kann ich mich nicht so recht auf den Bericht konzentrieren. Es wird auch nicht besser, als unvermittelt Wolfgang meine Hand packt und mir in seiner unnachahmlich mitfühlenden Art mitteilt, das werde jetzt sehr weh tun. Dank Monalon bekomme ich wenigstens ein Beißholz und und erwarte das Schlimmste. Als Wolfgang die Tinktur mit einer Art Spachtel auf meine Handinnenfläche aufträgt, wird diese mit einem Schlag eiskalt! Ich bin überrascht, hatte ich doch eher mit dem Gegenteil gerechnet. Aber wieder einmal spüre ich, dass Kälte genauso brennen kann wie Hitze ... trotzdem hatte ich viel Schlimmeres erwartet (Verrät mir das etwas darüber, wie zimperlich Wolfgang ist? Wenn meine Gedanken nicht immer noch um Magnus kreisen würden, müsste sich so ein Wissen doch nutzen lassen!). Langsam verfliegt die Eiseskälte aus meiner Hand ... die trotzdem völlig taub ist. Gut, die Schmerzen sind weg, aber bewegen kann ich die Finger immer noch nicht. Gerade, als ich Wolfgang darauf aufmerksam machen will, dass sich meine Lage nur unwesentlich gebessert hat, kehrt das Leben in meine Fingerspitzen zurück ... zusammen mit den Schmerzen. Aber sie sind dankenswerterweise nur noch ein schwacher Abglanz dessen, was mich in den letzten Wochen fast die ganze Zeit über davon abgehalten hat, Trost ins Morrs Armen zu finden. Wie gesagt: Man kann über Wolfgang sagen, was man will, aber sein Handwerk versteht er.
Die Hand wird verbunden, und Wolfgang fragt Dieter nach einem Handschuh, der die Wunde zusätzlich schützen soll. Dieter führt uns daraufhin über den Innenhof, an der Zwergen-Statue vorbei (an der sich Dieter tief verbeugt) und betritt eine kleine Schneiderwerkstatt. Dort begrüßt uns Siggi der Schneider äußerst liebenswürdig. Auf unsere Bitte hin unterbricht er sogar seine aktuelle Arbeit und fertigt mir aus einem dicken Stofflappen einen ziemlich genau passenden Handschuh an. Sehr geschickt, der Mann!
„Nun wird es aber Zeit, Euch Eure Zelle zu zeigen, gleich ist auch schon Mittagszeit…“, mahnt Dieter zur Eile. Beim Wort 'Zelle' zucke ich unwillkürlich zusammen und wähne mich weniger Gast denn Gefangener, aber Monalon erklärt mir, dass Mönche ihre Stuben aus mir gänzlich unerfindlichen Gründen 'Zelle' nennen. Ich habe ja Respekt vor Leuten, die ihr Leben ganz den Göttern widmen, aber müssen die immer gleich so sehr ihre Leidensbereitschaft zur Schau stellen? Also, für mich wäre das nichts. Und dass Monalon dabei klingt, als rede sie mit einem begriffsstutzigen Kind, steigert meine Begeisterung auch nicht gerade. Der Mönchs-Zögling führt uns wieder über den Hof, verbeugt sich dabei erneut vor der Zwergen-Statue, und geleitet uns in eine recht große Stube an der Südostecke des Klosterkomplexes: Vier Betten, zwei Schreibpulte und ein leerer Schrank bieten Platz zum Schlafen und Studieren; die beiden Fenster des Raumes gestatten einen beinahe schon atemberaubenden Ausblick auf die Bergwelt. „Ihr werdet Euch hier sicher wohlfühlen“, hebt Dieter erneut an. „Gleich gibt es dann auch etwas zu essen, und später solltet ihr unbedingt das Ale von Braumeister Dalbert probieren…“. Dieser Bursche redet wirklich unentwegt, dabei kreisen meine Gedanken gerade um völlig andere Dinge. Doch dann wird Dieter vom lautstarken Klingeln kleiner Glöckchen unterbrochen anscheinend werden so die Mönche und auch die Gäste in den Speisesaal zusammengerufen.
Erst jetzt fällt mir auf wie prachtvoll der Saal ist. Kunstvolle Fresken schmücken die Wände, unterbrochen von mächtigen Säulen, vor denen sich wiederum Statuen erheben, die allem Anschein nach die Gerechtigkeit und die Lehre Verenas symbolisieren. Monalon zumindest blickt sich um, als wolle sie eine wissenschaftliche Arbeit über diesen Raum verfassen (das sähe ihr ähnlich!).
Obwohl uns Dieter zur Eile mahnt (warum sind die hier oben alle so hektisch? Wird nicht in so manchem Lied das beschauliche Leben der Gottgefälligen besungen?), sind wir die letzten, die den Saal betreten. Am Kopfende steht Kapitän Schwerner und hält bereits eine flammende Rede, die er immer wieder durch wilde Gesten seines linken Armes begleitet was hin und wieder mehr als skurril wirkt, schließlich fehlt dem alten Kämpfer die zugehörige Hand; stattdessen bildet eine lange, prügelartige Prothese aus Holz die Verlängerung seines Unterarmes. Zu Schwerners Rechten sitzt Flaggenmeister Norbert und nickt bei jedem Satz des Kapitäns zustimmend mit dem Kopf. Schwerner beschwört die Mönche, sich bitte endlich zusammenzureißen, denn die schützende Flammenwand vor der Klosterbrücke sei nun verschwunden. Also gelte es jetzt mehr denn je, sich zu rüsten und regelmäßig Wehrübungen abzuhalten. Die Feinde könnten jederzeit zurückkehren. Es sei an der Zeit, das Kloster wehrhaft und mit dem Schlendrian der letzten Jahre Schluss zu machen, denn schlimme Zeiten seien angebrochen. Ohne die Finger des Schicksals wäre das Kloster erst kürzlich mit Sicherheit überrannt worden und es könne nicht angehen, sich stets nur auf andere zu verlassen. Schließlich lehre Verena ja ... Es ist bemerkenswert, wie lange (und wie laut) Schwerner sprechen kann, ohne zwischendurch Luft zu holen.
Das ganze wirkt ein wenig wie eine Mischung aus Weckruf und Strafpredigt. Aber gewiss hat der Mann Recht: Magnus wird das Kloster gewiss kein zweites Mal retten. Ich selbst bin im Moment mehr oder minder außer Gefecht gesetzt, denn in einer echten Schlacht würde auch meine Beidhändigkeit kaum ausgleichen, dass meine rechte Hand im Augenblick kaum nutzbarer ist als Schwermers Linke. Immerhin haben wir jetzt Monalon mit ihren Feuerbällen hier und Wolfgang mit seiner unnachahmlichen Art, seine Mitmenschen anzuspornen.
Dann wird endlich das Essen aufgefahren: gebratenes Geflügel. Auf meine Frage hin erklärt mir Dieter, es handle sich um Jakjak, einen krähenartigen Gebirgsvogel. Dazu wird eine Mehlspeise gereicht. Schmeckt das wirklich so gut oder liegt es daran, dass ich so lange Zeit nicht mehr bewusst etwas Vernünftiges zu mir genommen habe?
Nachdem abgedeckt wurde, erscheint Bruder Stefan vorne am Pult. Schlagartig scheint mir ein Hauch von Angst durch den Saal zu streifen. Stefan sieht es wohl als seine Lebensaufgabe an, seine Ordensbrüder mit der Sprache der Elfen vertraut zu machen. Allerdings erinnert mich das, was ich hier sehe, weniger an den Versuch, andere etwas zu lehren, als vielmehr eine Lektion darin, wie man seinen Mitmenschen ihre allgemeine und insbesondere fachliche Unzulänglichkeit vor Augen führen kann. Zeit für uns zu gehen und Bruder Georg die Aufwartung zu machen.
Dieter führt uns über den Hof (die Verbeugung vor der Statue nicht vergessend) und die bekannte Treppe zum Abt des Klosters. Georg begrüßt uns freundlich und merkt an, wie es ihn freuen würde, dass es mir wieder besser gehe. Wir befragen ihn erneut über die Prophezeiung, aber weitere Hinweise können wir ihm nicht entlocken.
So begeben wir uns wieder in den Hof, wo Dieter erstmal wieder seine bekannte Verbeugung vor der Statue vollführt. „Die Statue. Das muss doch der erste Schlüssel sein.“ stelle ich fest. „Wir haben es hier doch offenbar mit einer Art Schnitzeljagd zu tun, an dessen Ende der Kristall der Luft zu finden sein könnte“. Wolfgang sieht mich erstaunt an, worauf ich ihm von den diversen Botschaften der Zwerge erzähle, die wir auf unserer Reise zusammengetragen haben und die darauf hindeuten, der Zwerg Yazeran könne der Besitzer dieses Steines gewesen sein.
Noch einmal lasse ich mir die Zeilen der Prophezeiung durch den Kopf gehen ... und schließlich habe ich tatsächlich eine Art Eingebung: „Das Senkblei muss eine Bedeutung haben! Lasst uns an der Stelle suchen, wohin der Schatten des Senkbleis weist. Genauer gesagt: dort, wo der Schatten des Senkbleis genau zur Mittagsstunde hinfiel, als Monalon, Magnus und ich hier vor einem Monat eintrafen.“
Im Moment weist der Schatten des Senkbleis auf die gemauerte Wand des großen Saales links neben der Tür und endet etwa drei Fuß über dem Boden. Jetzt gilt es hier die nötige Anpassung vorzunehmen. „Hmmm“, Monalon und Wolfgang überlegen laut: „Etwas höher, da die Sonne eine Stunde nach Mittag tiefer steht, etwas nach links, da ein Monat vergangen ist.“
Dass die Beiden allem Anschein nach komplizierte Rechnungen vornehmen, dauert mir einfach zu lange. Ich ziehe einen meiner Dolche und suche mir einen Stein in der Wand aus, der eine halbe Hand breit über und eine Hand links vom jetzigen Schatten-Ende liegt. Als ich den Dolch ansetze, um die Fugen um den Stein herum zu bearbeiten, bemerke ich, dass er völlig locker sitzt. Wie eine Schublade lässt er sich herausziehen!
Mit meiner unverletzten Hand lange ich in den Hohlraum und fördere ein kleines festes sechseckiges Pergament zu Tage, ganz ähnlich dem kleinen Pergament, dass wir von Bruder Georg erhalten hatten. Das ist der nächste Hinweis! Auf dem Pergament ist ein Amboss abgebildet, über dem 7 Schwerter schweben. An den 6 Kanten wird erneut ein Spruch aus 6 Wörtern gebildet: „Suche - die - Quelle - finde - den - Grund.“ - „Wo ist Eure Schmiede?“, frage ich Dieter.
Die Schmiede des Klosters liegt unmittelbar gegenüber des großen Saales; der Eingang, zu dem Dieter uns führt, befindet sich links um die Ecke. Bruder Klaus, ein hochgewachsener und mit erheblicher Leibesfülle ausgestatteter narbengesichtiger Kerl begrüßt uns freundlich.
Neben den üblichen Gerätschaften einer Schmiede Amboss, Feuerstelle, Blasebalg und mancherlei Handwerkzeuge fallen unter den an der Wand aufgehängten Schwertern zwei besonders große, gekreuzte Exemplare mit kunstvoll gewellten Klingen besonders ins Auge. Sonderlich sinnvoll erscheint mir das zwar nicht, aber es sieht unbestreitbar beeindruckend aus. Auf meine Frage hin, ob er diese prächtigen Stücke selbst gefertigt hätte, entgegnet Klaus: „Nein, soweit reicht meine Kunst leider nicht. Das sind zwei Duellschwerter aus Tiléa, die mir ein Pilger vor Jahren zum Geschenk gemacht hat."
Wir erzählen dem Schmied von unserer Suche nach Hinweisen, und als wir ihm das kleine sechseckige Pergament zeigen, das uns zu ihm und seiner Schmiede geführt hat, läuft sein Gesicht ein wenig rot an. „Oh. Noch so ein Bierdeckel. Ja so einen habe ich auch, allerdings nur eine Hälfte davon. Die andere Hälfte habe ich meinem Bruder Siggi gegeben. Ihr könnt ihn haben, aber bitte erzählt dem Abt nicht, dass wir den Bierdeckel zerteilt haben. Das ist mir jetzt aber peinlich, hätte nie gedacht, das da mal jemand kommt und danach fragt.“. Klaus wühlt in einem kleinen Schränkchen und holt den halben „Bierdeckel“ hervor. Schon jetzt erkennt man, das darauf ein Brunnen abgebildet ist und um das Bild herum zieht sich wieder ein Sinnspruch ... der aber natürlich nicht vollständig ist. Wir beschließen, zunächst erneut Siggi den Schneider aufzusuchen.
Klaus beendet noch eben die Arbeit an einem neuen Schwert und führt uns zu Siggis Kammer, in der uns auf einmal ein riesenhafter Köter entgegenspringt und lautstark anschlägt. „Sitz!“, ruft Klaus nur. Die Bestie gehorcht aus dem Sprung heraus; ab sofort lässt sich auch nur noch ein leises Winseln vernehmen.
Siggi kramt dann auch die zweite Hälfte des „Bierdeckels“ hervor (was immer diese sonderbaren Pergament-Sechsecke in Wahrheit sein mögen!). Zusammengesetzt ist jetzt tatsächlich ein Ziehbrunnen darauf zu erkennen. Aus zwei in der Luft schwebenden Kelchen strömt jeweils eine Flüssigkeit in den Brunnen, darüber ist eine „II“ abgebildet. Der aus sechs Worten zusammengesetzte Spruch lautet: „Der - Letzte - ist - nicht - der - Geringste“.
Obwohl wir weder aus der Abbildung noch aus dem Spruch schau werden, erscheint es uns sinnvoll, sich den Klosterbrunnen in der Eingangshalle anzuschauen, den wir ja schon kennen. Laut Dieter ist dies nämlich der einzige Brunnen des Klosters, ansonsten gäbe es nur noch einige kleine Zisternen.
Rätselnd stehen wir eine Weile vor dem Brunnen. Ich schlage vor, einfach mal zwei Becher mit Wasser hineinzuschütten, wie auf der Abbildung zu sehen. Zwar weiß ich wirklich nicht, wie uns das helfen soll, aber der Versuch wird nicht schaden und wenn es hier vielleicht um irgendeine Form von Magie geht, ist das nun wahrlich nicht mein Territorium. Monalon? Wolfgang? Marna? Aber abgesehen davon, dass sie meine Idee mit den Kelchen für Unfug halten, fällt ihnen auch nichts besseres ein.
Dieter holt aus der Küche zwei mit Trinkwasser gefüllte Kelche, die Wolfgang und ich in den Brunnen entleeren. Es dauert eine Ewigkeit, bis man das Platschen hört. Der Brunnen muss mehrere Hundert Schritt tief sein! Aber wie sollte es auch anders gehen? Das Kloster steht schließlich auf diesem hohen, massiven Fels.
Viel schlauer sind wir jetzt allerdings wirklich nicht. So beschließt Wolfgang, einmal ein paar Meter in den Brunnen hinabzusteigen. Mit meiner Hand falle ich für derlei Wagnisse ja derzeit aus. Also seilen wir den Doktor an und lassen ihn dann, mit Dieters, Monalons und Marnas Hilfe (ich kann dabei natürlich nur eine Hand erübrigen), behutsam hinab.
„Die Wand ist bemerkenswert glatt - ohne Zweifel zwergische Baukunst“, hallt Wolfgangs Stimme aus etwa fünf Schritt Tiefe nach oben. „Oh…hier ist eine Art Nische. Wartet - nicht weiter ablassen!" Dann: Stille.
Schließlich fällt der Satz, auf den wir kaum zu hoffen gewagt hatten: "Wieder ein Pergament! Das muss der nächste Hinweis sein!“. Wir ziehen Wolfgang wieder hinauf, sein Kopf ragt schon über den Brunnenrand, mit der rechten Hand streckt er uns ein weiteres Pergament-Sechseck entgegen ... da läuten die Klosterglocken unvermittelt Sturm.
Fortsetzung folgt!