In dem Zusammenhang habe ich mal eine nette Novelle gelesen.
Folgende Novelle im wurde Jahre 1903 geschrieben
Gustav Meyrink
Petroleum, Petroleum
Freitag ? mittags ? war es, da schüttete Dr. Kunibald
Jessegrim die Strychninlösung langsam in den Bach.
Ein Fisch tauchte an die Oberfläche ? tot ? mit dem
Bauche aufwärts.
?So tot wärest du jetzt?, sprach Jessegrimm zu sich selber
und reckte sich, ? froh, daß er die Selbstmordgedanken
mit dem Gifte weggegossen hatte.
Dreimal in seinem Dasein hatte er auf diese Weise schon
dem Tode ins Auge gesehen, und jedesmal war er durch
eine dumpfe Ahnung, daß er noch zu Großem ? zu
einer wilden, umfassenden Rache ? berufen sei, wieder
an das Leben gefesselt worden.
Das erstemal wollte er ein Ende machen, als man ihm
seine Erfindung gestohlen hatte, ? dann nach Jahren,
wie sie ihn aus seiner Stellung jagten, weil er nicht aufhörte,
den Dieb seiner Erfindung zu verfolgen und bloßzustellen,
? und jetzt, weil ? ? weil ? ?
Kunibald Jessegrim stöhnte auf, wie die Gedanken an
sein wildes Weh wieder lebendig wurden. ?
Alles war dahin, ? alles an dem er gehangen, ? alles,
was im einst lieb und teuer gewesen.
? Und nur der blinde, bornierte, grundlose Haß einer
Menge, die, von Schlagworten beseelt, allem sich entgegenstemmt,
was nicht in die Schablone geboren ist, hatte
ihm das angetan. ?
Was hatte er nicht alles unternommen, erdacht und vorschlagen.
Kaum im Zuge, mußte er aufhören ? vor ihm
die ?chinesische Mauer?: der lieben Menschen breitgestirnte
Schar und das Schlagwort ?aber?.
? ? ? ?Gottesgeißel? ? ja, so heißt die Erlösung. ?
Herr im Himmel, Allmächtiger. Laß mich ein Zerstörer
sein, ? ein Attila! ? loderte die Wut in Jessegrims Herzen.
?
Timur Lenk, der Dschingis-Khan, wie er durch Asien
hinkt und Europas Fluren verwüstet mit seinem gelben
Mongolenheer, ? die Vandalenführer, die erst auf dem
Schutte römischer Kunst die Ruhe finden, ? sie alle
waren von seinem Geschlecht ? starke, ungeschlachte
Brüder, in einem Adlernest geboren. ?
Eine ungeheure, schrankenlose Liebe zu diesen Geschöpfen
des Gottes Shiva erwachte in ihm. ? Die Geister
dieser Toten werden mit mir sein, fühlte er, ? und ein
anderer Typus trat in seinem Körper ? blitzartig.
Wenn er sich in diesem Augenblick hätte in einem Spiegel
sehen können, wären ihm die Wunder der Transfiguration
kein Rätsel mehr geblieben. ? ?
So fallen die dunklen Mächte der Natur ins Blut des
Menschen ? tief und schnell.
Dr. Jessegrim besaß ein profundes Wissen, ? er war
Chemiker, und sich durchdringen, fiel ihm nicht schwer.
? In Amerika kommen solche Menschen gut fort, ? was
Wunder, daß auch er bald zu Geld, ? Reichtümern sogar.
Er hatte sich in Tampiko in Mexiko angesiedelt und
durch einen schwunghaften Handel mit Meskal, einem
neuen narkotischen Genuß- und Betäubungsmittel, da er
chemisch zu präparieren verstand, Millionen erworben.
Viele Quadratmeilen Ländereien im Umkreise Tampikos
waren sein Eigen, und der enorme Reichtum an Petroleumquellen
versprach sein Vermögen ins Ungezählte zu
vermehren.
Doch das war es nicht, wonach sein Herz sich sehnte.
Neujahr zog ins Land. ?
?Morgen wird der 1. Januar 1951 sein, und die faulen
Kreolen werden wieder einen Anlaß haben, drei Feiertage
lang sich zu betrinken und Fandango zu tanzen?, dachte
Dr. Jessegrim und sah von seinem Balkon auf das stille
Meer hinab.
Und in Europa wird?s nicht viel besser sein. Jetzt um
diese Zeit erscheinen in Österreich schon die ?Tagesblätter?
? zweimal dicker als sonst und viermal so dumm.
Das neue Jahr als nackter Junge abgebildet, frische Kalender
mit schwebenden Frauen und Füllhörnern, statistische
Merkwürdigkeiten: daß am Dienstag 11 Uhr 35
Minuten 16 Sekunden mittags genau 9 Milliarden Sekunden
verflossen seien, seit der Erfinder der doppelten
Buchhaltung die Augen zur wohlverdienten ewigen Ruhe
geschlossen habe, ? und so weiter.?
Dr. Jessegrim saß noch lange und starrte auf den regungslosen
Meeresspiegel, der so eigen schimmerte im Sternenschein.
Bis es zwölf Uhr schlug. ?
Mitternacht! ?
Er nahm seine Uhr heraus und zog sie langsam auf, bis
seine Fingerspitzen den Widerstand am Remontoir fühlten.
? Leise drückte er dagegen und immer stärker? da
? ? ein leises Knacken, die Feder war zerbrochen, die
Uhr stand still.
? ? ? Dr. Jessegrim lächelte spöttisch: ?So will ich
euch auch die Feder abdrehen, ihr lieben guten ??
Eine fürchterliche Detonation erschreckte die Stadt. Sie
dröhnte von weit her, vom Süden, und die Schiffer meinten,
es müsse in der Nähe der großen Landzunge ? ungefähr
zwischen Tampiko und Vera-Cruz ? der Ursprung
der Erscheinung zu suchen sein. ?
Feuerschein hatte niemand gesehen, ? auch die Leuchttürme
gaben keine Signale. ? ?
Donner ? ? jetzt? ? und bei heiterem Himmel! ? ?
Unmöglich. ? Also wahrscheinlich ein Erdbeben. ?
Alles bekreuzigte sich, ? nur die Wirte fluchten wie
wild, denn sämtliche Gäste waren aus den Schenken
gestürzt und hatten sich auf die Anhöhen der Stadt begeben,
wo sie sich unheimliche Geschichten erzählten.
Dr. Jessegrim beachtete all das gar nicht, er war in sein
Studierzimmer getreten und summte etwas wie: ?Ade,
mein Land Tirol ??
Er war vorzüglich aufgelegt und holte eine Landkarte aus
der Schublade, stach an ihr mit einem Zirkel herum, ?
verglich in seinem Notizbuch und freute sich, daß alles
stimmte: Bis Omaha, vielleicht noch weiter nach Norden
zog sich das Petroleumgebiet, daran ließ sich nicht mehr
zweifeln, und daß das Erdöl unterirdisch ganze Seen, so
groß wie die Hudsonbay, bilden mußte, das wußte er.
Er wußte es, er hatte es ausgerechnet, ? volle zwölf Jahre
daran gerechnet.
Ganz Mexiko stand seiner Meinung nach auf Felsenhöhlen
im Erdinnern, die zum großen Teil, wenigstens so
weit sie mit Petroleum gefüllt waren, miteinander in Verbindung
standen.
Die vorhandenen Zwischenräume nach und nach wegzusprengen,
war seine Lebensaufgabe geworden. ? Jahrelang
hatte er dazu ganze Scharen Arbeiter beschäftigt, ?
und was das für Geld gekostet!
Die vielen Millionen, die er an dem Handel mit Meskal
verdient hatte, waren drauf gegangen.
Und wenn er dabei ein einziges Mal eine Erdölquelle traf,
? wäre alles aus gewesen. ? Die Regierung hätte ihm
natürlich sofort die Sprengerei gelegt, der sei sowieso
stets abhold war.
? Heute nachts sollten die letzten Wände fallen, ? die
zum Meere zu, ? an der Landzunge ? und die weiter
nördlich bei St. Louis de Potosi. ?
Automatische Vorrichtungen besorgten die Explosion.
Dr. Kunibald Jessegrim steckte die paar Tausenddollarschein,
die ihm noch blieben, zu sich und fuhr auf den
Bahnhof. ? Um vier Uhr früh ging der Schnellzug nach
New York. ?
Was sollte er noch in Mexiko?!
Richtig, da stand es schon in allen Zeitungen ? das Originaltelegram
von sämtlichen Küstenpunkten des mexi411
kanischen Golfes in den Abkürzungen des internationalen
Cable-Code:
?Ephraim Kalbsniere Beerenschleim?, was übersetzt
ungefähr heißt: ?Meeresspiegel ganz mit Petroleum bedeckt,
Ursache unbekannt, alles stinkt weit und breit. Der
staatliche Gouverneur.?
Die Yankees interessierte das ungemein, da das Ereignis
doch zweifelsohne einen mächtigen Eindruck auf die
Börse und die Petroleumkurse hervorbringen mußte, ?
und Besitzverschiebung ist doch das halbe Leben! ? ?
Die Bankmänner in Wallstreet, von der Regierung befragt,
ob das Ereignis ein Steigen oder Sinken der Kurse
hervorbringen werde, zuckten die Achseln und lehnten
Urteile ab, ehe nicht die Ursache des Phänomens bekannt
sei; ? dann allerdings ? ? wenn man das Gegenteil von
dem an der Börse machen werde, was die Vernunft gebiete,
ließe sich wohl viel Geld verdienen. ?
Auf die Gemüter Europas brachte die Nachricht keinen
besonderen Eindruck hervor, ? erstens war man durch
Schutzzölle gedeckt, und zweitens waren gerade neue
Gesetze im Werden, die durch geplante Einführung des
sogenannten dreijährig freiwilligen Nummernzwanges,
verbunden mit Abschaffung der Eigennamen männlicher
Individuen, die Vaterlandsliebe anfachen und die Seelen
zum Militärdienst besser geeignet machen sollten. ? ?
?
Unterdessen floß das Petroleum, genau wie Dr. Jessegrim
berechnet hatte, fleißig aus den unterirdischen Becken
Mexikos ins Meer ab und bildete an der Oberfläche eine
opalisierende Schicht, die sich immer weiter und weiter
ausdehnte und, vom Golfstrom fortgetrieben, bald den
ganzen Meerbusen zu bedecken schien.
? ? ? Die Gestade waren verödet, und die Bevölkerung
zog sich ins Innere des Landes zurück. ?
Schade um die blühenden Städte.
Dabei war der Anblick der See ein furchtbar schöner, ?
eine unabsehbare Fläche, schimmernd und schillernd in
allen Farben: rot, grün und violett, ? ? wieder tiefes,
tiefes Schwarz, wie Phantasien aus märchenhafter Sternenwelt.
? Das Öl war dicker, als sonst Petroleum zu
sein pflegt, und zeigte durch seine Berührung mit dem
salzigen Seewasser keine andere Veränderung, als daß es
allmählich an Geruch verlor. ? ? ?
Die Gelehrten meinten, daß eine präzise Erforschung der
Ursachen dieser Erscheinung von hohem wissenschaftlichem
Werte sei, und da Dr. Jessegrims Ruf im Lande ?
wenigstens als Praktiker und Kenner mexikanischer Petroleumlager
? begründet war, stand man nicht an, auch
seine Meinung einzuholen. ?
Die war kurz und bündig, wenn sie auch das Thema nicht
in dem Sinne behandelte, wie man erwartete:
?Wenn das Erdöl in dem Maße weiterströmt, wie bisher,
so werden meiner Berechnung nach in 27?29 Wochen
sämtliche Ozeane der Erde davon bedeckt sein und ein
Regen in Zukunft für immer ausbleiben, da kein Wasser
mehr verdunsten kann, ? im besten Falle wird es dann
nur Petroleum regnen.? ?
? ? ? Diese frivole Prophezeiung rief eine stürmische
Mißbilligung wach, gewann aber täglich an Wahrscheinlichkeit,
und als die unsichtbaren Zuflüsse gar nicht versiegen
wollten, ? im Gegenteil, sich ganz außerordent413
lich zu vergrößern schienen, befiel ein panisches Entsetzen
die gesamte Menschheit.
Stündlich waren neue Berichte von den Sternwarten
Amerikas und Europas zu lesen, ? ja sogar die Prager
Sternwarte, die bis dahin immer nur den Mond photographiert
hatte, begann allmählich, sich den neuen seltsamen
Erscheinungen zuzuwenden.
In der Alten Welt sprach bald niemand mehr von der
neuen Militärvorlage, und der Vater des Gesetzentwurfs,
der in einer europäischen Streitmacht bedienstete Major
Dressel Ritter von Glubinger ab Zinkski auf Trottelgrün,
kam ganz in Vergessenheit.
Wie immer in Zeiten der Verwirrung, wenn die Zeichen
des Unheils dräuend am Himmel stehen, meldeten sich
die Stimmen der unruhigen Geister, di, mit dem Bestehenden
nie zufrieden, an altehrwürdige Einrichtungen zu
tasten wagen:
?Weg mit dem Militär, das unser Geld frißt, frißt, frißt!
? Bauet lieber Maschinen, ersinnet Mittel, um die verzweifelte
Menschheit vor dem Petroleum zu retten? ? ?
? Aber das geht ja doch nicht, ? mahnten die Besonnenern,
man kann doch nicht so viele Millionen Menschen
auf einmal brotlos machen!
? ? ? ?Wieso brotlos? Die Mannschaft braucht ja nur
entlassen zu werden, ? jeder von ihnen hat ja doch etwas
gelernt, und sei es auch nur das einfache Handwerk?, war
die Antwort.
? ? ? ?Na ja, ? gut ? die Mannschaft! ? Aber was
soll man mit den vielen Offizieren machen?? ?
? ? ? Das war allerdings ein gewichtiges Argument.
Lange schwankten die Meinungen hin und her, und keine
Partei konnte die Oberhand gewinnen, bis die chiffrierte
Kabelbotschaft aus New York eintraf:
?Stachelschwein pfundweise Bauchfellentzündung Amerika
?, ? das heißt übersetzt:
? ?Erdölquellen nehmen stetig zu, Situation äußerst
gefährlich. Drahtet umgehen, ob Gestank bei euch auch
so unerträglich. Herzlichen Gruß! Amerika.?
? ? Das schlug dem Faß den Boden aus! ?
Ein Volksredner ? ein wilder Fanatiker ? stand auf, ?
mächtig wie ein Fels in der Brandung ? faszinierend ?
und stachelte durch die Kraft seiner Rede das Volk zu
den unüberlegtesten Taten.
?Lasset die Soldaten frei, ? fort mit dieser Spielerei, ?
sollen die Offiziere sich auch einmal nützlich machen. ?
Geben wir ihnen neue Uniformen, wenn?s ihnen schon
Freude macht, ? meinetwegen froschgrüne mit roten
Tupfen. ? Und an die Meeresufer mit ihnen, sollen sie
dort mit Fließpapier das Petroleum auftunken, während
die Menschheit nachdenkt, wie dem schrecklichen Unheil
zu steuern ist.? ?
? Die Menge jubelte Beifall. ?
? Die Vorstellungen, daß solche Maßregeln gar keine
Wirkung haben könnten, daß sich da doch viel eher mit
chemischen Mitteln ankämpfen ließe, fanden kein Gehör.
? ?Wissen wir, ? wissen wir alles?, ? hieß es. ?Aber
was soll man dann mit den vielen überflüssigen Offizieren
anfangen, ?he??
*Ironiemodus an*
In 1 Jahr, 2 Jahren oder 10 Jahren haben wir das sowieso wieder vergessen oder regt sich noch jemand über den ausgebrochenen Vulkan in Island auf?
*Ironiemodus off*