Mortheim Kampagne

„Du Jungspund, mußt erst mal was von der Welt sehen, bevor du dich hier auf die Bärenhaut legen kannst! Mach es wie ich, heuere in der imperialen Armee an. Da erlebst du was! Und vielleicht kannst du dort dein Glück machen“

Das hatte mir der Oheim gesagt, als ich wieder mal über die Prügel geklagt habe, die ich vom Vater aus geringem Anlaß bekommen hatte. Meine Mutter war gestorben und die sechs Geschwister, die der Vater durchbringen mußte waren ihm als kleiner freier Bauer zu viel, das spürten wir immer wieder schmerzhaft – aber ich selbst am meisten. Ich war der Jüngste – und mußte mir oft genug anhören, dass besser ich als meine Mutter bei meiner Geburt gestorben wäre...

Was den Oheim betraf, nicht dass er sein Glück gemacht hatte – alles was er aus den Kriegen mitbrachte, waren ein paar ausrangierte Waffen und ein zerschmettertes Knie – so erzählte er doch immer wieder mit leuchtenden Augen über die Abenteuer, die er gemeinsam mit seinen Kameraden erlebt hatte. Vielleicht war das doch mein Weg in die Zukunft. Und es gab hier im Dorf genug Freunde, die auch nichts hier hielt und die mit mir durch Dick und Dünn mitgehen würden…

Sigmar vergisst nicht. Selene, die frisch beförderte Anführern der Schwestern in Mordheim, blickte nochmals mit schmalen Augen zurück auf den Platz und auf den Marienburger mit der schwarzen Feder, welcher ihren Rückzug wachsam beobachtete. Ein letzter Pfeil schlug kraftlos mehrere Fuß hinter ihr ein. Sie waren aus Reichweit.

Sie seufzte und drehte sich um. Jetzt musste sie sich um die Moral im Lager und um die Verwundeten kümmern. Außerdem galt es herauszufinden, wie dies passieren konnte. Nein, dachte sie, Sigmar vergisst nicht. Und ich werde mir den Mann ebenfalls merken. Irgendwann wird er seine gerechte Strafe bekommen.

Ihre Gruppe von Schwestern war seit drei Tagen damit beschäftigt genaue Karten von der Ruinenstadt anzufertigen. Bisher lief alles reibungslos, oder zumindest fast. Die anderen Schwestern, hatten ihre unerwartete Beförderung akzeptiert, wobei Olivia, die ältere und erfahrenere Schwester, anfangs gemurrt hat.
Aber am Tag nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, kam Libra, eine Schwester mit der äußerst seltenen Gabe des Sehens im Lager angeritten. Obwohl blind, bewegte sie sich mühelos im Geröll der Stadt. Sie hatte bei ihrer Ankunft ein paar Worte mit Olivia gewechselt und seitdem verhielt sich diese ruhig. Mehr noch, Olivia unterstützte Selene von da an in allen Belangen und war so etwas wie ein Feldwebel in der Gruppe geworden.

Libra hatte erklärt, dass sie von der Schwesternschaft geschickt wurde, um Selene bei den Arbeiten zu unterstützen. Zwar traute Selene Libra nicht vollständig, aber ihr war jede Hilfe willkommen. Sie hatte Bedenken, dass Libra von Bertha Bestraufung als eine Art Spion geschickt wurde um sie im Auge zu behalten und damit alles noch nach ihren Plänen verlief. Und Selene hatte noch immer keine Ahnung worin diese Pläne bestanden. Libra verhielt sich aber zurückhaltend und konnte Wege in den Ruinen finden, welche anderen entgingen. Deshalb akzeptierte Selene sie in ihrer Gruppe.

Die gesamte Gruppe war an diesem Tag wieder mit Vermessungstätigkeiten beschäftigt, während vier Schwestern die nähere Umgebung absicherten. Plötzlich überkam Selene ein sonderbares Gefühl. Sie blickte in einen pechschwarzen Hauseingang. Ein Teil der zerfetzten Tür hing noch in den Angel und schwankte leicht hin und her. Das Gefühl zog sie näher an dieses mit Brandspuren überzogene Gebäude heran. „Ich bin gleich zurück“, sagte sie zur Gruppe und betrat das Gebäude. In der Ecke des kleinen Raumes stand eine unversehrte Kommode, auf welcher eine kleine Statue lag. Die Statue zeigte einen Mann, oder eine Frau, in knieender Haltung mit zusammengefalteten Händen vor ihrem Gesicht. Die Statue und der Bereich darum waren völlig sauber, während der Rest des Raumes verwüstet und mit Unrat überseht war. Es war eine Stille Oase der Reinheit. Als Selene die Statue berührt, wurde diese unerwartet warm. Ein schriller Schrei von draußen drang an ihr Ohr.

Ohne nachzudenken steckte sie Statue ein und rannte hinaus. Libra kam ihr mit gerunzelter Stirn entgegen. Sie schien sie mit sonderbarer Miene anzustarren, mehr noch, in sie hineinzublicken. Selene sah sich schnell um. Die Schwestern blickten verwirrt auf eine am Boden liegende Novizin, aus deren Hals ein schwarz gefiederter Pfeil ragte. Zwei weiter Pfeile schlugen mitten zwischen den Schwestern in den Boden und in die Reste einer Mauer. „Geht in Deckung“, brüllte Selene und es kam Bewegung in die Gruppe, welche nun auseinanderstob. Die Schwestern ging hinter jedem noch so kleinem Stein in Deckung zogen die Köpfe ein.
„Marienburger, 150 Fuss in diese Richtung“, sagte Libra und zeigte nach Süden. Selene blickte in der angegebenen Richtung zwischen einer Hausruine hindurch und sah einen hochgewachsenen Mann mit einer schwarzen Feder in der Hutkrempe hinter einer Hauswand hervor lugen. Dieser bereitete sich bereits auf den Abschuss des nächsten Pfeiles vor.
„Fangt ihn, ich will ihn Lebend. Eine Gruppe folgt mir rechts vom Haus entlang, die zweite versucht ihm links davon den Weg abzuschneiden. Bleibt in Deckung." Während die Gruppen losrannten, schwangen ein paar der Schwestern ihre Steinschleudern, ohne jedoch etwas zu auszurichten.

Als Selene um die Hausecke rannte, setzte ihr Herz einen Augenblick aus. Eine Falle! Die Marienburger hatten das obere Stockwerk eines großen gelben Gebäudes besetzt, welches früher wohl ein Gasthaus gewesen sein musste. Von dort aus hatten sie eine ungehinderte Schussbahn auf die beiden Gruppen von Schwestern. Es bewegten sich noch weitere Schatten hinter umgestürzten Mauern und Hausruinen.
Neben ihr ging eine weitere Novizin von einem Pfeil getroffen zu Boden. Keine Zeit haltzumachen. „Vorwärts“, brüllte sie und hoffte die zweite Gruppe würde sie hören. Während von oben weitere Pfeile auf sie zuflogen, sah Selen von ihrer Position aus, wie Olivia unerschrocken mit einer Gruppe Schwestern auf die hinter Hausecken lauernden Männern zustürmte.
Ein Pistolenschuss streckte eine der Schwestern zu Boden und der Angriff geriet ins Stocken. Die jüngeren Schwestern hatten einen panischen Gesichtsausdruck und waren kurz davor kehrt zu machen.

Irgendwann hat Selene die kleine Figur in ihrer Tasche ergriffen ohne es zu merken.
„Ahija, jatock Sigmar“, brach es aus ihr heraus. Ihre Stimme hatte einen grollenden Unterton, der sie klar hörbar über das Schachtfeld bis zur entferntesten Schwester trug, ohne dabei allzu laut zu wirken. Die Statue in ihrer Hand glühte. Sie war verwirrt, den sie wusste nicht mal was sie da geschrien hatte, oder weshalb. Aber es schien ein alter Kriegsschrei zu sein, der aus dem Relikt in ihrer Hand zu kommen schien, und er schien eine Wirkung auf die Gruppe zu haben. Die Gesichtszüge der Schwestern nahmen einen entschlossenen Ausdruck an und klirrend trafen die Streithämmer und Stahlpeitschen auf die Rüstungen und Schwerter der Marienburger. Im Nahkampf waren die Schwestern überlegen und bereits beim erst Ansturm fielen mehrere der Männer. Aber ihr Anführer mit der Schwarzen Feder hatte den Bogen weggelegt und stürmte seinerseits mit weiteren seiner Adjutanten in den Kampf.
Ihre Schwestern schlugen sich tapfer. Das Training mit der immer verdrossen dreinblickenden Ordensmeistern des Kampfes machte sich bezahlt und die Schwestern schlugen weitere Männer nieder. Aber für jeden der fiel, rückten zwei weitere nach und die Schwestern hatten jetzt mehr damit zu tun ihre Haut zu retten, als noch wirksam gegen die Angreifer vorzugehen.
Selene beobachtete, wie Olivia stolperte und nur knapp einer Riposte entging, welche auf ihren Kopf gezielt war. Die Bedrängnis nahm noch zu, nachdem der Anführer der Marienburger den Kampf erreichte. Zwar hielten die Reihen der Schwester noch, aber Selene hatte keine Wahl. Wenn sie nicht noch weitere ihrer Schwestern in diesem sinnlosen Angriff verlieren wollte musste sie etwas tun. Sie war zu weit weg um wirksam in den Kampf einzugreifen. „Rückzug“ brüllte sie, und lies noch einen weiteren Stein in Richtung der Angreifer fliegen um den Rückzug zu decken. Sie sah zu wie sich die Kämpfenden von einander lösten. Die Marienburger hatten keine große Lust sie zu verfolgen und machten bereits nach wenigen Schritten kehrt, sobald klar war, dass die Schwestern sich nicht neu formieren und zurückkehren wollten. Die am Boden liegenden Männer bestärkten ihren Entschluss, den Schwester nicht nachzusetzten. Was sie jedoch nicht daran hinderte ihnen ein paar Pfeile nachzuschicken.

Sie erreicht Olivia, welche völlig außer Atem eine verletzte Schwester stützte. Mit einem grimmigen Lächeln und einem mörderischen Ausdruck in den Augen blickte sie Selene an. „Einen von ihnen habe ich so erwischt, dass er uns nie wieder Ärger machen wird“. Selen nickte nur und nahm ihr die verletzte Schwester von den Schultern um sie ins Lager zu führen.

Vier Jahre lang hatten sie in der imperialen Armee gedient. Sie hatten gegen grünhäutige Monster, gegen barbarische Anbeter des Chaos gekämpft und gegen den unsagbaren Schrecken, der aus dem Grab Zurückkehrenden. Und sie waren tatsächlich durch Dick und Dünn gegangen. Nur er, Springinsfeld und Schlagtot waren unbeschadet zurück gekehrt von sieben – zwei waren für immer auf den Schlachtfeldern geblieben.

Dann hatten sie sich auf den Rückweg in ihr Dorf, Veitsau genannt, gemacht. Sie hatten ihren Sold und die eine oder andere magere Beute mitgebracht und hatten Pläne im Kopf. Simplex wollte sich einen eigenen Acker kaufen, Schlagtot wollte sich als Hufschmied verdingen und Springinsfeld wollte Schuster werden. Aber es sollte anders kommen!

Als sie hungrig und durstig bei ihrem Dorf ankamen, fanden sie niemanden mehr vor, der Schuhe bei ihnen bestellen oder seine Ackerpferde bei ihnen beschlagen lassen konnte. Das ganze Dorf war niedergebrannt, das Vieh gestohlen und die früheren Freunde, die Nachbarn, die Verwandten, sie alle waren tot. Sie fanden keine einzige lebende Seele mehr vor! Es konnte noch nicht lange her sein, denn die Häuser qualmten noch und die Raben hatten noch nicht alle Augäpfel aus den Schädeln gepickt.

Als er den Kopf seines Vaters aufgespießt auf einem Speer fand, empfand er keinerlei Befriedigung trotz der groben Behandlung, die er früher durch seine Hand erfahren hatte. Und er fühlte nur noch Leere in sich, als er seine Geschwister fand. Entweder sie hatten keine Zeit mehr gefunden in die Wälder zu fliehen oder sie waren vor Schrecken gelähmt gewesen. Denn sie hatten vollzählig versammelt in der Stube auf ihren Tod gewartet.

Seinen Oheim fand er im Hinterhof. Offensichtlich war er nicht mehr rechtzeitig zu seinem geheimen Waffenlager gekommen, denn er hatte nur seine alte Axt in der Hand. Eine schwere Wunde quer durch seinen Leib hatte ihn das Leben gekostet, aber immerhin war er nicht wehrlos gestorben, denn sie fanden einen abgeschlagenen Arm und den Kopf eines Orks bei ihm. Aufgeregt öffnete Simplex das blutverschmierte Hemd seines Oheims und seufzte erleichtert, als er fand, was er suchte. Sein Oheim trug den Schlüssel zur Waffenkammer immer noch am Leib! Simplex wußte, wo die Kammer war, denn oft genug hatte ihm sein Oheim mit funkelnden Augen die Kostbarkeiten gezeigt und damit auch den Samen gelegt, der Simplex schließlich in den Krieg führte. Eigentlich, fiel ihm ein, hätte er gar nicht wegziehen müssen, um den Krieg zu suchen, er hätte ihn bequem auch zu Hause erwarten können. Laut und bitter lachend schüttelte er diesen Gedanken ab. Dann wäre er heute nicht mehr am Leben!

Nur ganz kurz dachte er daran, hier zu bleiben und das Dorf Veitsau wieder neu zu gründen – für wen sollte er das tun? Niemand von seinen Freunden und Verwandten war mehr am leben. Und es gab Dinge, die er weit besser konnte, als einsam einen Acker zu pflügen. Vier Jahre lang war er bei seinem Feldwaibel in die Lehre gegangen, er hatte schmerzvolle und blutige Erfahrungen gemacht und war schließlich selbst Waibel geworden! In den Krieg wollte er nicht mehr ziehen. Aber er hatte da von diesem zerstörten Ort gehört, wo beherzte Männer ein Vermögen machen konnten…

Er redete mit seinen Freunden und die dachten genau so. Simplex holte sich die Donnerbüchse seines Oheims aus dem Lager und sie gingen an den nächsten größeren Ort, wo sie sich Ausrüstung besorgten und ein paar Kampfgenossen anheuerten. Dann machten sie sich auf den Weg nach Mortheim!